Es ist ein ruhiger Sonntagabend in Ringgenberg. In der Turnhalle sitzen die StudentInnen auf roten Meditationskissen, die Augen offen aber nach unten gerichtet, und versuchen, Ihre Gedanken loszulassen als Vorbereitung zum japanischen Bogenschiessen. Der Gong läutet. Die Meditation ist vorbei. Sie knien jetzt gegenüber der Instruktorin, die ein weisses hemd und ein schwarzes rockartiges Hakama trägt. Sie spricht kurz über das Zen-Bogenschiessen. "Mein Lehrer hat mir mal gesagt, wenn man den Pfeil mushin schiesst -- leerer Geist -- das ist die Mitte des Herzens. Das ist Zen." 

 

KYUDO das übersetz DER WEG DES BOGENS bedeutet, gehört zu Japans ältesten Traditionen meditativer Kampfkunst. Man arbeitet an der exakten Ausführung der Form und dabei kommt ein natürlicher Prozess in Gang der dem/der Ausübenden die einzigartige Gelegenheit gibt, seinen/ihren Geist im Moment des abfliegenden Pfeils zu sehen. Dadurch unterscheidet sich Kyudo vom sportlichen Bogenschiessen mit dem Wettbewerb das Ziel zu treffen. Kyudo ist eine langzeitmässig betriebene Disziplin mit dem Ziel Körper und Geist in Übereinstimmung zu bringen, um sich letztlich mit dem eigenen Kriegerherzen zu verbinden.

 

Die StudentInnen verbeugen sich gegenüber einem kleinen Altar, der all die Lehrer und Bogenschützen repräsentiert, die vor ihnen gegangen sind. "Ha-ji-me-mas!" rufen sie gemeinsam, das heisst "Lass uns beginnen." Noch kniend, ziehen sie einen Lederhandschuh über die rechte Hand und verknüpfen das lila Band sorgfältig. Eines nach dem andern holen sie die zweimetrigen Bambusbogen, die sogenannten Yumis, von ihrem Platz an der Wand, wo sie schon vor der Stunde aufgespannt worden und bereits warten.

 

Es ist jetzt Zeit für den ersten Schuss des Abends. Ein Anfänger steht knapp zwei Meter von der Zielscheibe entfernt und bewegt sich langsam mit dem vorgeschriebenen Bewegungsablauf. Wenn der Zeitpunkt sich nähert, den Pfeil loszulassen, nähert sich auch die Instruktorin. Der Bogen ist gross und schwierig zu koordinieren. Der Student ist nervös, während er den Bogen spannt. "Noch weiter ziehen...kai (warten)...hanare (loslassen)!" Der Student entlässt den Pfeil, welcher in den Strohballen fliegt, mit einem Schrei, "eh!" Sein Gesicht zeigt eine Mischung von Erleichterung und Zufriedenheit.

 

Die Erfahrung des Kyudo bringt für jeden Schüler und jede Schülerin eine einzigartige Bedeutung. Einige begegnen ihrer Angst vor Konfrontation, andere haben Schwierigkeiten loszulassen. Durch die völlige Konzentration auf den meditativen Vorgang des Pfeil- abschießens ist Kyudo für viele eine Möglichkeit den Geist zu beruhigen und dadurch Anspannungen abzubauen.

 

Die Leiterin, Tanya Schmid, war Schülerin des Kanjuro Shibata XX, Sendai, seit 1991 und erhielt 1995 den Titel einer Lehrerin. Seit 2015 ist dieser faszinierende Kombination der Meditation und der Kampfkunst auch in Region Interlaken.

 

"Our purpose is to hit the target as the self, and hope that the sharp sound of arrow penetrating paper will awaken us from the so-called "dream of life" and give us real insight into the ultimate state of being."                                                                                --Kyudo: the Essence & Practice of Japanese Archery